„Nicht nur Diskriminierung, sondern konkrete Gefahr!“

Statement zu T-Shirts mit dem „gelben Stern“ auf Demonstrationen in der Corona-Krise Auf „Corona-Demos“ und „Hygiene-Spaziergängen“ stilisieren sich Teilnehmer derzeit als Opfer einer vermeintlichen Diktatur. Unter diejenigen, die berechtige Sorgen […]

Statement zu T-Shirts mit dem „gelben Stern“ auf Demonstrationen in der Corona-Krise

In der Ausstellung des Sara Nussbaum Zentrums sind historische Abbildungen des gelben Sterns zu sehen. (Bild: ep/SNZ)

Auf „Corona-Demos“ und „Hygiene-Spaziergängen“ stilisieren sich Teilnehmer derzeit als Opfer einer vermeintlichen Diktatur. Unter diejenigen, die berechtige Sorgen vortragen und ihr Recht auf Meinungsfreiheit wahrnehmen, mischen sich nach Medienberichten immer häufiger auch Menschen mit rechter oder rechtsextremer Gesinnung. Wie jetzt auf Twitter gemeldet wurde und in den Medien zu lesen ist, wurde bei einer Veranstaltung im Mai in Kassel ein gelber Stern, auf dem vermutlich das Wort „ungeimpft“ zu lesen war, öffentlich auf einem T-Shirt gezeigt.

Offensichtlich wollen die Träger eines solchen Symbols zum Ausdruck bringen, von einem herrschenden System gebrandmarkt, vielleicht sogar politisch verfolgt zu werden. Der so genannte „Judenstern“ war das bekannteste Zeichen zur Zeit des Nationalsozialismus, um Jüdinnen und Juden äußerlich zu kennzeichnen, zu diskriminieren und zu verfolgen. Das führte letztlich zur Ermordung von über 6 Millionen Menschen in Europa.

Mehr als ein Symbol

Die jüdische Gemeinde reagierte entsetzt auf die aktuellen Berichte. „In jeder Familie unserer Gemeinde musste der gelbe Stern von Familienmitgliedern getragen werden“, sagt Ilana Katz, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Kassel. Sie erinnert als Beispiele an Verwandte, die im jüdischen Ghetto in Riga zum Tragen des Sterns gezwungen, verfolgt und schließlich ermordet wurden, sowie an Angehörige, die in einem KZ in der heutigen Ukraine ebenfalls den Stern tragen mussten und schließlich dort umkamen. Beispiele wie diese gebe es unzählige.

„Der mit dem gelben Stern verbundene Schrecken sitzt sehr, sehr tief im Hinterkopf“, versucht Ilana Katz das Gefühl zu beschreiben. Auch wenn viele der heutigen Jüdinnen und Juden späteren Generationen angehörten, erzeuge es allein große Ängste, ihn zu sehen. „Der gelbe Stern steht nicht nur für Diskriminierung, sondern für sehr konkrete Lebensgefahr“.

Die jüdische Gemeinde ist tief getroffen

Die jetzige Verwendung durch Demonstranten empfindet Ilana Katz als billige Manipulation und eine Art von „Entweihung“ eines negativen, schrecklichen Symbols. „Die gesamte jüdische Gemeinde ist tief getroffen wegen dieser Ausnutzung der historisch höchst beladenen Symbolik.“ Dass so etwas gerade in Deutschland passiere, wo man im Bildungssystem ständig und ausgiebig über den Nationalsozialismus, seine Methoden und die grausamen Folgen lerne, mache viele in der jüdischen Community wütend und fassungslos.

Eigenes Handeln überdenken, sich mit Geschichte auseinandersetzen

Wer das Tragen eines solchen T-Shirts erwäge, von dem fordert Ilana Katz ein genaues Abwägen und Reflektieren des eigenen Handelns – insbesondere eine Auseinandersetzung mit der konkreten Geschichte des gelben Sterns und seiner Trägerinnen und Träger und ihrer Familien. Persönliche Gespräche mit Betroffenen und Fachleuten, seriöse Literatur und Internetquellen böten ausreichend Gelegenheit, sich zu informieren. „Es geht nicht darum, freie Meinungsäußerung zu verbieten“, betont sie. „Es geht darum, die eigenen Positionen nicht auf dem Rücken von Opfern auszutragen.“

(Titelbild: ep/SNZ)