Gemeinsames Statement antisemitismuskritischer Personen in Kassel
Am 7. Oktober 2023 geschah der größte antisemitische Massenmord seit der Shoah. Mehr als 1200 Menschen wurden in einer lange mit Unterstützung des Iran geplanten terroristischen Aktion der Hamas auf brutale Weise getötet, mehr als 200 entführt. Der islamistische Überfall zielte nicht allein auf israelische Polizeistationen und Militärposten, sondern unterschiedslos auf Kibbuze, Dörfer und Siedlungen mit dem Ziel, möglichst viele Jüd:innen und Juden zu töten. Der sich darin ausdrückende antisemitische Vernichtungswille der Hamas wurde hier natürlich nicht zum ersten Mal grausame Realität, doch das gezielte Erschießen und Verbrennen ganzer Familien, das Töten von Kindern und Babys machte auf unmissverständliche Weise deutlich, dass er keinerlei Grenzen kennt. Die Opfer waren nicht nur jüdische Israelis, sondern auch Menschen unterschiedlichen Glaubens aus mehr als 20 Ländern, unter ihnen nicht wenige Friedensaktivist:innen, die die israelische Politik gegenüber Gaza kritisiert haben.
Die öffentlichen Reaktionen auf diese Untaten waren bereits vor Beginn der israelischen Angriffe auf Hamas-Stellungen in Gaza vielsagend. Neben der einzig angemessenen Reaktion der unmissverständlichen Verurteilung dieser Verbrechen gab es zum einen offenen Jubel über die als „schlagkräftigen bewaffneten Aufstand der unterdrückten Palästinenser*innen in Gaza“ (Palestinian BDS National Committee) bezeichneten Morde, zum anderen ein die zivilen Opfer bedauerndes Verständnis für die antisemitische Gewalt, die als Reaktion auf die strukturelle Gewalt der israelischen Besatzung gerechtfertigt wurde. So geschehen beispielsweise im Artikel „Angst um Verwandte in Israel“ in der HNA vom 9. Oktober 2023, in dem das Mitglied der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft Brigitte Domes, den bestialischen Terroranschlag auf israelische Zivilisten als erwartbar bezeichnet und als „Eskalation“ verharmlost. Diese „Eskalation“, so Domes, sei erwartbar gewesen, aufgrund der „ständigen Demütigung der Palästinenser.“
Mit Beginn der israelischen Angriffe änderten sich jedoch auch die öffentlich vernehmbaren Stimmen. Das durch Belagerung, Abschottung und Bombardierung immense Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza, die von der Hamas als menschliches Schutzschild missbraucht wird, wird in den sozialen Medien, in der Tagespresse und auf Demonstrationen dafür verwendet, Israel zum eigentlichen Aggressor zu machen. Dabei wird nicht nur die Differenz zwischen dem intendierten und planvollen Abschlachten von unschuldigen Zivilist:innen der Hamas und dem Handeln des israelischen Militärs verwischt. Es wird auch verschwiegen, dass die bereits vor dem 7. 10. 2023 in Gaza bestehende humanitäre Krise maßgeblich darauf zurückzuführen ist, dass die immense internationale finanzielle Unterstützung des Gaza-Streifens – allein aus Deutschland flossen im Jahr 2021 umgerechnet fast 300 Millionen Dollar – von der Hamas nicht zum Wohle der Zivilbevölkerung und zum Aufbau einer funktionierenden Infrastruktur eingesetzt wird. Das mehrere hundert Millionen Dollar schwere operative Budget der Hamas wird stattdessen für die Organisation des Terrors gegen Israel und – wie die Proteste im Sommer 2023 gezeigt haben – gegen Teile der palästinensischen Zivilbevölkerung eingesetzt, die nicht mehr bereit sind, für den Vernichtungsantisemitismus der Hamas zu leiden. Ein funktionierender demokratischer palästinensischer Staat, der die Interessen seiner Bürger:innen vertritt, ist so wenig im Interesse der Hamas wie generell eine Zwei-Staatenlösung und ein dauerhafter Frieden zwischen Israel und Palästina.
Dass nicht nur dieses Faktum auch in weiten Teilen der akademischen Welt, an Bildungseinrichtungen und Universitäten häufig ignoriert wird, sondern es leider gerade dort teils offene Unterstützung des Handelns der Hamas gibt, ist in höchstem Maße bestürzend und niederschmetternd. Wie zwei offene Briefe dokumentieren, wird dieses Verhalten seit dem 7. Oktober massiv von jüdischen und israelischen Intellektuellen kritisiert, die sich politisch selbst der Linken zuordnen (nachzulesen hier und hier).
Gleichzeitig wird das alltägliche Leben für Jüd:innen und Juden weltweit immer gefährlicher. Synagogen, Schulen, Gemeindezentren und Bildungsstätten mussten deswegen unter erhöhten polizeilichen Schutz gestellt werden. Der Konflikt bleibt nicht auf Israel und Palästina beschränkt, sondern er hat längst weltweite Ausmaße erreicht, der Antisemitismus hat sich in zunehmendem Maße globalisiert. Zu erwarten war leider ebenfalls, dass konservative und rechte Kreise in Deutschland den auf pro-palästinensischen Demonstrationen zur Schau gestellten Antisemitismus als Vorwand für rassistische Hetze gebrauchen würden, so als wäre der Antisemitismus in Deutschland allein ein Produkt von Migration und entspränge nicht der Mitte dieser Gesellschaft.
Vor diesem Hintergrund und besonders nach dem auf der documenta fifteen im letzten Jahr offensichtlich gewordenen Antisemitismus scheint es uns, den Kasseler Autor:innen und Unterzeichner:innen, nicht nur notwendig zu sein, unsere Solidarität mit allen von antisemitischer Verfolgung Betroffenen auszudrücken. Wir fordern von allen Bildungs- und Kultureinrichtungen in Kassel eine selbstkritische Diskussion darüber anzustoßen, wie es so weit kommen konnte, dass die von Terrorgruppen wie der Hamas, der Hezbollah und dem islamischen Djihad ausgeübte Gewalt als legitimer Widerstand gegen Israel wahrgenommen und verteidigt wurde. Wie konnte es passieren, dass Israel zum wohl meistgehassten Land der Welt wurde, zu dessen Zerstörung jedes Mittel recht ist? Wieso wurde dieser Menschenverachtung in akademischen Einrichtungen nicht entschiedener entgegengetreten?
Dürften die im linken, rechten und islamistischen Lager gleichermaßen zu findenden Unterstützer:innen des Vernichtungsantisemitismus der Hamas durch Argumente sowieso nicht mehr zu erreichen sein, so dass es überflüssig sein dürfte, mit ihnen das Gespräch zu suchen, so hoffen wir, dass der Schock der Ereignisse vom 7. Oktober 2023 bei anderen Menschen die Bereitschaft ausgelöst hat, die eigenen Überzeugungen zu überprüfen und zu hinterfragen.
Kassel, 10.11.2023
Möchten Sie diesen Aufruf ebenfalls unterzeichnen? Schreiben Sie eine E-Mail mit ihrem Namen an: solidaritaet@sara-nussbaum-zentrum.de
Unterzeichner*innen:
Alfred Bucher, Detmold
Aneta Novkovic, Magister Artium; Frühförderung
Angelika Dörr
Angelika Schröder-Menze
Anke Jauss
Ann Katrin Düben, Leitung Gedenkstätte Breitenau
Anna Domdey, Gedenkstätte Breitenau
Annabelle Holstein, Mitglied der deutsch-israelischen
Gesellschaft AG Kassel, Lehrerin
Annika Stahlenbrecher, Gedenkstätte Breitenau
Armin J. Noll
Arne Albracht
Asia Sila Yilmaz
Astrid Reiße
Barbara Bonzel, Lehrerin, Vorstandsmitglied der Deutsch-Israelischen
Gesellschaft – AG Kassel
Beate Lehmann, Sozialarbeiterin, 2. Vorsitzende von Judaica in Meimbressen
e.V., Leitungsteam Arbeitskreis Jüdische Wohlfahrt
Boris Krüger, stellv. Vorsitzender des Deutsch-israelischen AG Kassel und
Vorsitzender des Kreisverbandes Kassel des Deutschen Lehrerverbandes Hessen
(dlh)
Boris Mijatovic, MdB, Sprecher für Menschenrechtspolitik und humanitäre
Hilfe, Fraktion Bündnis90/Die Grünen
Brisca Sobat, Bündnis gegen Antisemitismus Kassel
Bündnis für Vielstimmigkeit im Feminismus
Caroline Renner, Rotenburg an der Fulda
Christa Kaletsch, Vorsitzende von Makista e.V. und
Co-Vorsitzende des Landesverbandes der DeGeDe in Hessen
Christian Bruno Kłobuczyński M.A., Sozialwissenschaftler, Stadtverordneter,
FREIE WÄHLER
Christoph Langguth, Vorsitzender Randfilm e.V. und Vorsitzender
KulturBahnhof Kassel e.V.
Constantin Ganß, Vorsitzender Junges Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Präsidiumsmitglied Deutsch-Israelische Gesellschaft.
Dagmar Ullrich
Daniel Vinovskis
Daria Shoshima
Deborah Kogan, Vizepräsidentin Jüdische Studierendenunion Deutschland (JSUD)
Doris Gillessen
Dr. Alessandro Barberi, Universitätsdozent am Institut für
Bildungswissenschaft (Universität Wien)
Dr. Alexandra Colligs, Wissenschaftliche Mitarbeiterin Praktische
Philosophie (Universität Kassel)
Dr. Bernd Reef (Volkswirt, Universität Kassel)
Dr. Dominik Novkovic, Dozent für die Institute Philosophie und
Sozialwesen/Soziale Arbeit / Bereichsleitung Kinder- und Jugendhilfe
(Universität Kassel)
Dr. Ernst Purmann
Dr. Eva-Maria Schulz-Jander, Gesellschaft für christlich-jüdische
Zusammenarbeit, Ehrenbürgerin der Stadt Kassel
Dr. Katrin Juschka, Freiwilligenmanagerin in der Evangelischen Kirche in
Kassel und Hofgeismar-Wolfhagen
Dr. Michael Dorhs, Abteilungsleiter „Judaica Hassiaca“ im Stadtmuseum Hofgeismar / 2. Vorsitzender des Vereins „Judaica in Meimbressen e.V.“
Dr. Philip Fehling, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet
Internationale und Intergesellschaftliche Beziehungen und Personalrat
(Universität Kassel)
Eckhard Jochum, Bündnis gegen Antisemitismus Kassel
Elena Padva, Leitung Sara Nussbaum Zentrum
Elena Solovjov
Ernst Klein, Volkmarsen
Freiherr Iring von Buttlar
Gabriela Katz, Management Sara Nussbaum Zentrum Kassel
Hanna Wissemann
Heiko Führer, Antisemitismusbeauftragter Arnold Bode Schule Kassel
Horst Winkelbach
Ilana Katz, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Kassel
Ilker Sengül, Politikwissenschaftler, ehemaliger Stadtverordneter der
Kasseler Linken (Stadt Kassel), Mitglied in der Deutsch-Israelischen
Gesellschaft e. V.
Inett Gillich
Inga Vinovska
Inge Krug
Irina Nagornova
Jan Sauerwald, Kurator und Kulturmanager, Geschäftsführer und Programmleiter
Grimmwelt Kassel
Jens Bohl
Johannes Hilmes, Rechtsanwalt, Bündnis gegen Antisemitismus Kassel
Johannes Schubert, Student, Mitarbeiter DGB Campus-Office (Universität
Kassel) und Vorstand des Ortsverbandes Kassel der Sozialistischen Jugend
Deutschlands – Die Falken
Jonas Dörge, Bündnis gegen Antisemitismus Kassel
Jonas Grubelnik, Künstler
Jüdische Hochschulgruppe Kassel
Julia Drinnenberg, pädagogische Leitung, Abteilung Judaica, Stadtmuseum
Hofgeismar
Jürgen Blutte, MdL a.D. (Grüne), Stadtältester Kassel
Jürgen Blutte, MdL a.D. (Grüne), Stadtältester Kassel
Jürgen Fischer, Vorsitzender Geschichtsverein Kassel (VHG)
Jürgen Holstein
Klara Karali
Kristina Sjöström, Studienrätin, Deutsch-Israelische Gesellschaft e.V. AG
Kassel, Europa-Union Kassel e.V.
Larysa Chernina, „Die Brücke“ (Zeitung der Jüdischen Gemeinde Kassel)
Lasse Schauder, Sara Nussbaum Zentrum und Sprecherteam Junges Forum DIG
Kassel
Leonhard Klepikow, Mitglied des Vorstandes des Verbandes Jüdischer
Studierender Nord (VJSNord e. V.)
Liana Grigorova
Liane Kirschbaum
Livia Theuer
Luba Larkina, Bündnis gegen Antisemitismus Kassel
Lukas Kiepe
Margot Leiding
Marianne Knipping
Marie Kersting, stellvertretende Festivalleiterin des Kasseler Dokfestes
Martin Plate
Martina Bohl
Matthias Distler, Journalist und Mitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft
Michael Kravtchin, Pianist und Dozent an der Musikakademie der Stadt Kassel
Michael Siewers
Michael Sturm
Miriam Esther Rapoport
Mona Fuchs, Stadträtin Landeshauptstadt München
Natalija Muran
Niklas Lämmel, Doktorand der Philosophie (Universität Kassel)
Norma Tiedemann, Koordinatorin des Promotionskollegs JUST (Universität
Kassel)
Olaf Neitzel, Lehrer, Vorstandsmitglied Die Linke Kassel
Patricia Nickel-Dönicke, Schauspieldirektorin und Chefdramaturgin
Schauspiel, Staatstheater Kassel
Paula Wissemann
Pfarrer Reinhard Brand, Gemeindeentwicklung und Missionarische Dienste,
Landeskirchenamt Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck
Prof. Dr. Andreas Hänlein, Professor für Wirtschafts-, Arbeits- und
Sozialrecht an der Universität Kassel
Prof. Dr. Dietfrid Krause-Vilmar, Regionalgeschichtliche Studien und
Forschungen. Schwerpunkt: Nationalsozialismus in Nordhessen
Prof. Dr. jur. Hermann Heußner, Vorsitzender der
Europa-Union Kassel e.V., SPD, Katholik
Prof. Dr. Philip Hogh, Professor für praktische Philosophie (Universität
Kassel)
Prof. Dr. Philipp Oswalt, Professor für Architekturtheorie und Entwerfen
(Universität Kassel)
Rainer Gillich
Rebekka Kurzbach
Reinhold Weist, MdL Grüne-Hessen 1989-1998
René Horn
Renée Christine Flint, Mitglied in der Gesellschaft für christlich-jüdische
Zusammenarbeit
Robert Gertje
Robert Poschmann
Roland Beutler
Roland Levi Ronge, Fotograf und Autor
Ruth Schauder, Detmold
Sabine Giesa, Geschäftsführerin, Kassel
Sandra Mijatović
Saskia Wagner, Caricatura Galerie
Silvia Proll, „Die Brücke“ (Zeitung der Jüdischen Gemeinde Kassel)
Simon Langer
Udo Hauser, Schulleiter, Arnold-Bode-Schule Kassel
Uli Gleixner
Ulrike Beutnagel
Ulrike Kather, Lehrerin für Deutsch und Geschichte
Ursa Sünnemann
Ute Schultz-Reitz, Mitarbeiterin Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck
Uwe Josuttis, Sozialarbeiter/Sozialpädagoge, Mitglied der
Deutsch-Israelischen-Gesellschaft e. V. und von Bündnis90/Die Grüne
Vanessa Gronemann, MdL, Landtagsfraktion Hessen Bündnis90/Die Grünen
Volker Beller, Kulturbeirat der Stadt Kassel (Kategorie: Film und digitale
Medien) und Festivalleiter des Randfilmfests
Waltraud Mann
Wladimir Solovjov
Wolfgang Ehle, Kassel
Wolfgang Nickel, Kassel
Wolfgang Schwerdtfeger
Yael Sánchez Israel, Vice-President of Madrid to FEJJE (Jewish Youth Union
in Spain)
Yevgenia Freifeld
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