„Lachen und Weinen gehen immer zusammen!“

Interview mit Ilana Katz, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, zu den aktuellen Auswirkungen der Corona-Krise auf das jüdische Leben in Kassel Ilana, du bist die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Kassel. […]

Interview mit Ilana Katz, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, zu den aktuellen Auswirkungen der Corona-Krise auf das jüdische Leben in Kassel

Ilana, du bist die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Kassel. Wie betroffen ist die Gemeinde jetzt, Ende März, von der Corona-Virus-Pandemie?

Unsere Gemeinde ist sehr betroffen, vor allem wegen des meist hohen Alters unserer Mitglieder. Etwa Dreiviertel unter ihnen sind älter als 65 Jahre. Sie zählen also zu einer besonders gefährdeten Gruppe.

Ilana Katz ist die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Kassel.

Wie eingeschränkt ist das jüdische Leben derzeit?

Das Purimfest ist ausgefallen, und nun wird auch Pessach ausfallen. Die Sabbat-Gottesdienste finden nicht statt, die Tora wird nicht gelesen. Unser Rabbiner befindet sich in Quarantäne in Israel. Es betrifft auch den entfallenden Religionsunterricht an den Schulen, die Schi’urim, die fehlenden Lehrstunden für Erwachsene usw. Eigentlich alle Aktivitäten, die in einer Gemeinde sonst für Leben sorgen.

Wie tauschen sich die Gemeindemitglieder trotzdem aus?

Das geht vor allem per Telefon und Handy. Außerdem ist in der Synagoge an jedem Werktag jemand präsent. Jeder kann also in der Synagoge anrufen und es wird versucht, zu helfen. Wir möchten dadurch die Kommunikation unterstützen, so gut es geht.

Das Sara Nussbaum Zentrum steht für die Vermittlung von jüdischem Leben und jüdischer Kultur. Wie wichtig ist Kultur jetzt?

Egal in welcher Zeit, Kultur ist immer sehr wichtig! (lacht) Wir teilen unsere Geschichten und Erinnerungen. Auch moderne Medien werden immer häufiger genutzt. Zum Beispiel versenden unsere Rabbiner kurze Statements per Handy. Diese Nachrichten verbreiten sich gut. Sie werden mir teilweise sogar von meinen christlichen Bekannten weitergeleitet. Das ist toll.

Und wie ist es mit denjenigen, die kein Smartphone benutzen?

Kraft gibt uns auch immer wieder die Musik, unsere Lieder und Melodien. Viele Lieder, gerade die jüdischen, kommen aus Israel und sind Gebete. Und auch Witze gehören stark zur jüdischen Kultur. In unserer Tradition gehen Lachen und Weinen bekanntlich immer zusammen.

Wie geht die Arbeit für die jüdische Kultur weiter?

Sehr wichtig ist, dass wir in der Kulturszene weiterhin arbeiten, auch von zuhause aus. Wir bringen unzählige Ideen zu neuen Projekten ein. Dabei sind ganz viele Menschen miteinander verbunden. Wir tauschen uns über Skizzen und Entwürfe aus und arbeiten gemeinsam daran, dass es weiter geht.

Du bist selbst als Unternehmerin im Pflege-Sektor tätig. Was bedeutet die Krise für deinen Betrieb?

Es gibt vielfältige Probleme. In der Regel haben wir genug Handschuhe, Desinfektionsmittel, Mundschutze, Einwegkleidung usw. für ein halbes Jahr auf Vorrat. Auch wenn wir gut vorbereitet sind, befinden wir uns im Moment aber doch spürbar an der Grenze. Leider passieren auch immer wieder schreckliche Vorfälle. Besonders, dass wichtige Ausrüstung wie Desinfektionsmittel gestohlen wird, ist für mich eine inakzeptable Straftat.

Welche Gedanken bewegen dich als Unternehmerin?

Ich hoffe, wir verlieren keine Menschen und überstehen die Pandemie. Ich mache mir Sorgen um alle meine Bekannte, Freunde und meine Mitarbeiter. Dieser große Kreis ist ein wichtiger Teil meines Lebens. Und ich hoffe, alle überstehen dieses Virus – nicht nur physisch, sondern auch psychisch.

Viele, auch Angehörige von Älteren, haben Sorgen und Unsicherheiten. Was sagst du ihnen?

Wir haben unseren Betrieb so organisiert, dass wir Patienten zuhause betreuen. Wir achten auf Schutz und Desinfektion. Ich kann natürlich gar nichts versprechen, aber alle geben sich die größte Mühe und arbeiten sehr professionell: Wir kaufen ein, wir bringen Essen und liefern es an die Tür. Spaziergänge werden zu zweit und an der frischen Luft gemacht. Für Menschen, die nicht allein zuhause sein können und dürfen, haben wir Notgruppen organisiert. So achten wir auch auf diese Personen.

Trotz der aktuellen Probleme geht man davon aus, dass die Situation bald vorübergeht. Welche Erlebnisse, welche Gedanken machen dir im Moment am meisten Hoffnung?

Mein Geburtstag! (Lacht.) Auch wenn er in diesem Jahr wohl in ganz kleinem Kreis gefeiert wird. Ich bin so begeistert von der Arbeit des Sara Nussbaum Zentrums, von den neuen Projekten, die wir bald beginnen. Ich genieße schon jetzt diese kreative Phase und ich weiß, das wird großartig.

Vielen Dank für das Gespräch!