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Die Documenta und der Antisemitismus (III)

„Wir sind auch wütend, wir sind auch traurig, …“: Drittes Statement der Jüdischen Gemeinde Kassel und des Sara Nussbaum Zentrums zum Antisemitismus-Skandal auf der Documenta vom 13.9.2022.

Wir sind auch wütend, wir sind auch traurig, wir sind auch müde, wir stehen zusammen.

Statement der Jüdischen Gemeinde Kassel und des Sara Nussbaum Zentrums für Jüdisches Leben

Wir waren geduldig, offen für jedes Gespräch und bereit dazu, unsere Gefühle zugunsten der sachlichen Auseinandersetzung zurückzustellen. Doch seit dem 10. September ist eine Grenze überschritten.

Wir beschuldigen Euch, ruangrupa und das „artistic team“, Antisemitismus zuzulassen und nachhaltig zu befördern. Alles, was Ihr bisher zum Antisemitismus geäußert habt, war ein Lippenbekenntnis. Wir glauben Euch nicht mehr, wenn Ihr vom Zuhören und Lernen sprecht. Wir sind enttäuscht.

WIR UNTERSTÜTZEN DAS EXPERT*INNENGREMIUM

Wir beobachten die Entwicklungen auf der documenta fifteen mit großem Entsetzen. Es wurde ein Expert*innengremium eingesetzt, um Hinweisen auf eine mögliche antisemitische Bildsprache auf der Weltkunstausstellung nachzugehen, diese zu erfassen und zu analysieren. Dieses Expert*innengremium hat am 10. September Texte veröffentlicht, die für uns absolut nachvollziehbar, stringent und dem Gegenstand vollkommen angemessen sind.

Es ist gut und richtig, dass sich das Gremium nun endlich an die Öffentlichkeit gewendet hat, um auf den Umgang der documenta fifteen mit antisemitischen Vorfällen hinzuweisen, die einseitig negative Darstellung Israels, die mehrfach in offenen Antisemitismus umschlägt, zu thematisieren, sowie konkrete Handlungsempfehlungen zu formulieren.

EURE REAKTION IST SKANDALÖS

Die Antwort von Euch – ruangrupa, drei Personen des „artistic teams“ und zahlreichen Künstler*innen der documenta fifteen –, die ebenfalls am 10. September unter dem Titel: „We are angry, we are sad, we are tired, we are united: Letter from lumbung community“ im Netz veröffentlicht wurde, halten wir für skandalös und aufschlussreich zugleich.

Dass darin dem Expert*innengremium eine „rassistische Tendenz“ vorgeworfen wird und von einer „bösartigen Struktur der Zensur“ dahergeredet wird, ist grotesk und ungeheuerlich. Diese offenen Angriffe werden von den Autor*innen des Textes nicht mit Beispielen belegt. Zugleich heißt es darin weiter: „Die Frage ist nicht das Existenzrecht Israels; Die Frage ist, wie es existiert. Widerstand gegen den Staat Israel ist Widerstand gegen den Siedlerkolonialismus, der Apartheid, ethnische Säuberung und Besatzung als Formen der Unterdrückung einsetzt.“

ZUHÖREN: GESCHEITERT. LERNEN: GESCHEITERT. LUMBUNG: GESCHEITERT. DOCUMENTA: ?

Dass diese Worte eine Antwort auf einen Text sind, der das Vorführen von Terror-Propagandafilmen der Japanischen Roten Armee kritisiert, einer Organisation, die das Selbstmordattentat im Kampf gegen den jüdischen Staat etabliert hat und am 30. Mai 1972 das Massaker am Flughafen Lod verübt hatte, bei dem 26 Menschen ermordet und 80 weitere verletzt wurden, zeigt für uns auf, wie weit antisemitisches Gedankengut unter den Organisator*innen der documenta fifteen verbreitet ist.

All dies beweist ferner, dass es, anders als angekündigt, keinen reflektierenden Lernprozess gab, bei dem man sich mit der Kritik und den Beobachtungen auseinandersetzte. Stattdessen wird jede Analyse, selbst die eines Gremiums aus renommierten Wissenschaftler*innen, zurückgewiesen und per se als „rassistisch“ diffamiert. All dies beweist, dass das Prinzip eines offenen, den Menschen zugewandten Prinzips des „lumbung“ desaströs gescheitert ist. Was beweist dies für die documenta fifteen?

PLAKATIVER ANTISEMITISMUS IM HERZEN DER DOCUMENTA

Offensichtlich handelt es sich bei dem Text um Teil einer Kampagne, die sich nicht nur für die antisemitische Boykottkampagne BDS ausspricht. Sondern es handelt sich bei den Autor*innen auch um Personen, die sich als Aktivist*innen derselben verstehen. So befinden sich nun mitten im Herzen der Documenta, dem Fridericianum, Plakate mit Aufschriften wie zum Beispiel: „BDS: Being in Documenta is a Struggle“, „Free Palestine from German guilt“, oder „Nakba is a Part of Erinnerungskultur“. Mit solchen Aussagen wird das Gedenken an die Shoah, die Ermordung von über sechs Millionen europäischen Juden und Jüdinnen, in einer perversen Weise instrumentalisiert und der Antisemitismus zugleich als ein exklusiv deutsches Phänomen bagatellisiert. In den sozialen Medien gibt es weitere Plakate dieser Reihe zu sehen, in denen Israel unter anderem als Apartheidsstaat dämonisiert wird.

Wir müssen anerkennen: Es war subtil. Es wurde genickt, wenn jemand gesagt hat, dass es schlimm ist. Es wurde darauf gehofft, dass Positionen in der Vielfalt nicht auffallen, dass sie im Stimmengewirr der Sommerzeit verhallen. Es wurde spekuliert, dass andere, in der Politik, in der Gesellschaft, sich darüber streiten, wessen Köpfe rollen müssen oder tatsächlich rollen. Es wurden Opfer zu Tätern gemacht, Argumente umgedreht und darauf gehofft, dass man damit durchkommt. Doch mit den jetzigen Schritten hat sich das Blatt gewendet: Ihr zeigt plakativ eure Unterstützung für antisemitische, menschenverachtende Positionen. Und wir müssen euch darum sagen: Es reicht.

ES REICHT

Wir erwarten von den Gesellschafter*innen der Documenta gGmbH, dass den Einschätzungen und Empfehlungen des Gremiums unverzüglich Rechnung getragen wird und die notwendigen Schritte zur dringlichen Aufarbeitung eingeleitet werden. Es braucht einen Untersuchungsausschuss.

Es kann nicht sein, dass die Verantwortlichen in der Stadt-, Landes-, und Bundespolitik dieser antisemitischen Agitation weiter tatenlos zusehen und keine Konsequenzen gezogen werden. Es muss anerkannt werden, dass die Politik der Konfliktvermeidung, der Relativierung und des Wegsehens, die seit Beginn des Jahres von vielen politischen Verantwortlichen betrieben wird, zu dieser Situation beigetragen hat und dass es genau diese Haltung ist, die auch den Ruf der Stadt Kassel nachhaltig schädigen wird.

Wir erwarten von Euch, ruangrupa, dass ihr mit eurer unsäglichen Kampagne aufhört, anerkennt, dass es Antisemitismus auf dieser documenta gibt und etwas dafür tut, euren zukünftigen Ruf als Künstler*innen, ja als Menschen, noch halbwegs zu wahren.

WIR SIND AUCH WÜTEND, WIR SIND AUCH TRAURIG, WIR SIND AUCH MÜDE, WIR STEHEN ZUSAMMEN.

Kassel, 13. September 2022

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