„An Pessach betrachten wir die geistige Seite des Lebens“

Am 8. April beginnt Pessach, eines der wichtigsten jüdischen Feste. Jüdinnen und Juden erinnern an die Befreiung aus der Sklaverei, mit dem Auszug aus Ägypten frei geworden zu sein. Wir […]

Am 8. April beginnt Pessach, eines der wichtigsten jüdischen Feste. Jüdinnen und Juden erinnern an die Befreiung aus der Sklaverei, mit dem Auszug aus Ägypten frei geworden zu sein. Wir haben mit dem Rabbiner der jüdischen Gemeinde Kassel, Shaul Nekrich, über die Bedeutung des Fests gerade in Krisenzeiten wie diesen gesprochen.

Schmuckstück für das Fest: Ein besonders aufwändig verzierter Sederteller. (Bild: privat)

Warum ist Pessach so wichtig für die jüdische Community?

Der Auszug aus Ägypten ist tief verwurzelt im jüdischen Glauben und unserer Kultur. Alle jüdischen Feiertage, die in der Tora erwähnt werden, sind damit eng verbunden. Nicht nur an diesen Tagen, sondern jeden Tag beim Gebet „Shma Israel“ („Höre Israel“) wird ein Bezug auf den Auszug aus dem Ägypten genommen. Als mehrtägiges Fest hat Pessach aber eine besondere Bedeutung.

Mit dem Auszug aus Ägypten ist das jüdische Volk frei geworden. Geht es ausschließlich um diese physische Befreiung?

Nicht allein – besonders auch die innere, geistige Freiheit ist damit gemeint. Pessach lehrt uns: Jeder Mensch trägt die Fähigkeit, sich von allem Materiellen zu distanzieren und die geistige Seite des Lebens zu betrachten.

Wie kann das gelingen? Etwa, indem man bestimmte Dinge unterlässt, etwa bestimmtes Essen oder bestimmte Lieder?

Es geht nicht darum, was man an diesem Feiertag unternimmt oder eben sein lässt. Es geht um die geistige Komponente. Um das zu verstehen, muss man diese innere Freiheit in sich selbst finden. Jede Handlung, die man an diesen Tag unternimmt, hat eine geistige Wurzel und ist der Schlüssel zu diesem Feiertag. So ähnlich wie die Gebete. So findet man den Sinn der alltäglichen Existenz in sich.

Am ersten Abend des Fests, dem Sederabend, wird im Kreis der Familie und Freunde die Pessah-Hagada, die Geschichte des Auszugs erzählt. Durch die derzeitige Pandemie müssen wir aber eher voneinander Abstand nehmen. Wie sollte man mit diesem Widerspruch umgehen?

Seder Pessach ist ein Familienfest. Es zusammen mit der ganzen Community zu feiern, ist eher ein Brauch in Deutschland. In Israel dagegen feiert man es nur im engen Familienkreis, wobei man auch Großeltern einlädt. Das wird in diesem Jahr schwierig sein. Man wird darauf verzichten können.

Steht die Vorschrift, sich nicht zu versammeln, über dem religiösen Brauch?

Sich um die eigene Gesundheit und die Gesundheit der anderen zu kümmern, steht über dem Erfüllen von Traditionen. Ich sehe es so: Pessach gibt uns in diesem Jahr eine große Chance, die eben beschriebene geistige Freiheit zu finden. Gerade in dieser Ausnahmesituation, in der wir physisch und sozial so eingeschränkt sind, erhalten wir die Möglichkeit, mehr über die geistige Freiheit nachzudenken. Das sollten wir tun.

Vielen Dank für das Gespräch!