Stellungnahme der Jüdischen Gemeinde Kassel und des Sara Nussbaum Zentrums für Jüdisches Leben
Am Montag, 9. Oktober, drei Tage nach dem Angriff palästinensischer Hamas-Terroristen auf Israel, erschien in der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen ein Artikel unter der Überschrift „Angst um Verwandte in Israel“ mit der Unterzeile „Nach dem brutalen Angriff der palästinensischen Hamas: So reagieren die Menschen in Kassel“ (Artikel online). Der von drei Redakteurinnen und Redakteuren gemeinsam verfasste Text bemüht sich, einen Überblick über die Reaktionen unterschiedlicher Akteurinnen und Akteure in Kassel auf den Angriff Israels zu schaffen.
Gegen diese Art der Berichterstattung ist grundsätzlich kaum etwas einzuwenden, da sie verschiedene Aspekte und Meinungen zu einem Sachverhalt gebündelt beleuchtet. Das Ziel ist, den Leserinnen und Lesern die Möglichkeit zu einer eigenen Meinungsbildung zu geben. Im vorliegenden Fall müssen wir jedoch feststellen, dass das Ziel nicht nur verfehlt wurde, sondern ins Gegenteil umschlägt. Über die Art der Zusammenstellung sind wir tiefgreifend besorgt, denn sie ist sehr gefährlich.
Der Artikel bindet die Wiedergabe eines Interviews mit Ilana Katz (Vorsitzende der jüdischen Gemeinde und Gründerin des Sara Nussbaum Zentrums für Jüdisches Leben) unter anderem mit einem Interview von Brigitte Domes (Vorsitzende der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft) zusammen. Auf die von Ilana Katz geäußerten persönlichen Sorgen über jüdische Verwandte und Freunde in Israel folgen, nur durch eine kleine Zwischenüberschrift getrennt, politisch zugespitzte und zutiefst israelfeindliche Aussagen von Frau Domes. Diese schiefe Zusammenstellung, die noch dazu ohne eine weitere Einordnung geschieht, empfinden wir als eine große Frechheit. Bei uns und auch bei vielen anderen Leserinnen und Lesern hat der Beitrag große Befremdung ausgelöst.
Durch Frau Domes’ Aussagen entsteht der Eindruck, dass die Schuld an den aktuellen Massakern, Entführungen und Massenvergewaltigungen durch die Hamas bei Israel liege. Bei den zitierten Aussagen handelt es sich offensichtlich um einen Versuch, diese Haltung zu rechtfertigen und die große Schuld der Hamas zu relativieren.
Die „mehr als 200 Palästinenser, die seit Jahresbeginn und vor der neuerlichen Eskalation gestorben seien“, die Frau Domes anführt, sind zum weitaus überwiegenden Teil Terroristen, die Anschläge auf Zivilistinnen und Zivilisten durchgeführt oder geplant haben. Durch die Aussage wird Israel die Schuld für den Angriff sowohl auf das Land als auch für die Massaker an der eigenen Bevölkerung zugeschoben.
Für uns stellt sich die Frage, ob jemandem in ähnlicher Weise eine Bühne geboten würde, wenn es um die Billigung des russischen Angriffs auf die Ukraine ginge. Wladimir Putin hatte der Weltöffentlichkeit auch viel darüber zu erzählen, wie „historische Tatsachen“ (Lügen) angeblich der Grund für den Überfall auf die Ukraine seien. Doch nein: Weder antiukrainischer noch antiisraelischer Propaganda sollten in der HNA Raum gegeben werden.
Noch besorgniserregender ist die Tatsache, dass der Beitrag unter der Überschrift „Angst um Verwandte in Israel“ steht. Dies erscheint nicht nur respektlos gegenüber Ilana Katz, sondern ist auch schlicht gefährlich. Dadurch, dass Israel die Schuld zugeschrieben wird, entsteht eine Täter-Opfer-Umkehr. Dies wiederum schürt den Hass gegen Jüdinnen und Juden, den wir als Jüdische Gemeinde zu spüren bekommen werden.
So ist dieser Artikel für die HNA ein Debakel und für die Jüdische Gemeinde überaus verletzend. Für die Zukunft wünschen wir uns eine gründlichere Prüfung der Inhalte und ihrer Zusammenstellung, um die Integrität und den Respekt in der Berichterstattung aufrechtzuerhalten.
Kassel, 16.10.2023